Alsweiler hat 2400 Einwohner und ist mit 2000 Dateien im Internet präsent zu sehen ist unter anderem der Musikverein
Es war der Apotheker, der die Sache in die Welt gesetzt hat. "Alsweiler goes Web" und "Alsweiler goes World", stand eines Tages im Internet unter der Adresse http://www.aweb.de/alsweiler zu lesen, und wer immer mit dem Namen Alsweiler etwas anfangen konnte, rieb sich verblüfft die Augen. Alsweiler ist nämlich keine Metropole, die den Erdball in Erregung versetzen
Auch der Apotheker war zu sehen im weißen Kittel: Thomas Jung, 35 Jahre alt, ein
offenbar sehr unternehmungslustiger Mensch. Nachdem er 1990, aus dem saarländischen
Niederkirchen kommend, in Alsweiler die Mauritius-Apotheke eröffnet hatte, umwarb er seine
Kundschaft mit einem Alsweiler Hustenbonbon und einem patentierten Gel mit dem schönen
Namen Beinwohl . Da Jung seit Jugendjahren
ein Computer-Freak war, warf er sich auch auf das Internet und ließ sich eine Domain
reservieren, auf der er einen deutschen Apotheken-Index
erstellte. Dann kam ihm die Idee, auch Alsweiler ins Netz zu heben, im August 1997
erstellte er die ersten Seiten. Mittlerweile ist das Projekt auf mehr als 400
Unterverzeichnisse mit 2000 Dateien angewachsen, auch die Resonanz stieg in jüngster Zeit
steil an, und exemplarisch erhellt sich damit eine bisher kaum beachtete Dimension des
Internet: das Globalgeflecht der Telephondrähte und Computer erlaubt nicht nur die
weltweite Kommunikation, sondern ist auch bestens geeignet als lokales Informationsorgan.
Nicht nur das Weiße Haus und der Vatikan sind von jedem Telephon der Welt aus
zugänglich, auch im kleinsten Winkel lassen sich auf neue Art Nachrichten verbreiten und
Kontakte knüpfen. Es ist Gründerzeit wie zu Anfang der Gutenberg-Ära, nie zuvor in der
Geschichte war es für ein Dorf so einfach und so billig, an ein Massenmedium zu kommen,
das so vieles in einem sein kann: Heimatbuch und Heimatzeitung, Photoalbum, Dorfarchiv,
lokale Enzyklopädie, Gewerbeforum, Vereinsschaukasten, Anschlagsbrett, aktuelles
Diskussionspodium und zu alledem ein Schaufenster in die weite Welt.
"Plattform für die Bürger"
Gewiß sind Online-Aktivitäten von Kommunen keine Neuigkeit mehr. Seit vor zwei Jahren auch in Deutschland das Internet zu boomen begann, haben große Städte, aber auch tausende mittlere und kleinere Orte sich im Web postiert, die Listen in den einschlägigen Suchmaschinen sind ellenlang, gerade auch im Saarland. Wer hinsurft, merkt jedoch sehr rasch: fast immer sind es Kommunalbehörden, Tourismus-Manager oder Firmen, die informieren und werben, es grüßt der Bürgermeister mit Bild und Brief. Nur selten haben sich die Bürger des neuen Mediums bemächtigt.
Insoweit
dürfen sich Thomas Jung und die übrigen Alsweiler Internet-Aktivi-sten durchaus ein
wenig als Pioniere fühlen. "Ich will eine Plattform für die Bürger machen",
sagt der junge Mann, im Nachtdienst-Zimmer seiner Apotheke vor dem Schirm sitzend,
"dieses Konzept habe ich sonst noch nirgends gesehen. Ich wäre froh, wenn sich
jemand meldet, der etwas Ähnliches macht." Thomas Jung tritt bei dem Alsweiler
Internet-Projekt als Webmaster und Sponsor auf, er bringt die einschlägigen Gebühren auf
und hat dafür die Seiten mit seiner Apothekenwerbung bestückt. Die Bürger rief er zur
Mitarbeit auf und erbat etwa die Einreichung von Photos. Erste Antworten sind
eingetroffen, und so sind nun Aufnahmen aus einem Alsweiler Schulsaal des Jahres 1954 zu
sehen, ferner Gruppenbilder ganzer Schuljahrgänge, Photos von Krippen- und
Specksteinausstellungen und abgelichtete Gemälde von Hobby-Künstlern.
Auch örtliche Einrichtungen und Gewerbebetriebe wurden aufgelistet; eine Querverbindung zur Großgemeinde Marpingen, zu der Alsweiler gehört, verschafft detaillierte Auskunft auch über die anderen Ortsteile und über Kommunalprobleme, von A wie Abfallberatung über L wie Lohnsteuerkarte bis Z wie Zahlungen; der jeweils zuständige Gemeindebeamte wird mit Telephondurchwahl und Zimmernummer genannt. Es finden sich der Notdienst ebenso wie ein Verzeichnis der bisher 46 Alsweiler Online-Surfer, und mit vielen bunten Hennen präsentiert sich der Geflügelzuchtverein.
Alsweiler hat im ganzen rund 35 Vereine, 27
bilden eine Vereinsgemeinschaft,
deren Vorsitzender Anton Rauber, ein Unternehmensberater, die
Sache mit dem Internet von Anfang an für "eine gute Sache" hielt. Man
arrangierte einen Vortragsabend mit dem Apotheker Jung, der das Internet dabei wie
im Internet natürlich nachzulesen mit einem Lexikon verglich. Im Brockhaus, sagte
er, sei Alsweiler nicht zu finden, das Internet sei aber größer und billiger und biete
unbegrenzten Platz zur Selbstdarstellung. Nur zehn Vereine zeigten Interesse, manche
Zuhörer, so die Vertreterin des Müttervereins, hatten vom neuen Medium noch nichts
gehört. Im Wirtshaus Trapp kam es zu einem Bierdisput über die Existenz eines
Bibelzitates ("Laß die Toten ihre Toten begraben"), und ein Internet-Enthusiast
konnte zur Verblüffung der Beteiligten den Streit problemlos klären, weil er das Zitat
(Lukas 9,60) in einer Predigt des Pfarrers von Weinsberg in Württemberg fand, die
ebenfalls im Internet hing.
Man sieht, die Sache dehnt sich auch auf
lokaler Ebene in unendliche Verzweigungen, die Entwicklungsmöglichkeiten sind unbegrenzt.
Auch das Alsweiler Projekt steht erst am Anfang, "eine Baustelle wird das immer
bleiben", sagt Thomas Jung. Er hat die Vereine aufgerufen, ein Vereinsporträt
einzureichen, und er opfert Woche für Woche um die zehn Stunden seiner Freizeit, um Texte
und Bilder in die Computer zu laden, kostenlos, es sind schon mehr als 20 Megabyte. Noch
gibt es außer Begeisterung auch Desinteresse, aber Ortsvorsteher Peter Ohlmann (SPD) ist überzeugt:
"Wenn das mal bekannter ist, wird das Furore machen."
Es macht schon, jedenfalls bei solchen Bürgern, die vor Jahren das Heimatdorf verlassen haben und in der Umgebung, in anderen Teilen Deutschlands oder auch im Ausland leben. Ortsvorsteher Ohlmann schätzt ihre Zahl auf 300 bis 500, und eine ganze Reihe von ihnen hat sich inzwischen im Internet-Gästebuch eingetragen. "Im Cyberspace ein Stück Heimat", staunte ein Informatiker aus Berlin. In anderen Kommentaren war "super" ein oft gebrauchtes Wort, eine Frau aus dem Nachbarort Winterbach war schier fassungslos über die Alsweiler Neuheit. Und quer durch Europa wurden via e-mail Verbindungen aufgefrischt, die seit langem ruhten.
Das Ende der Abgeschiedenheit
Das Beispiel Alsweiler belegt mithin: die Geographie ist nicht mehr schicksalhaft wie ehedem, mancher Unterschied zwischen Stadt und Land wird im Internet planiert, eine bestimmte Art der Abgeschiedenheit kommt an ihr Ende, und mit ihr das Dunkel und die Diskretion, die von ihr bedingt waren. Die Globalisierung des Dorfes, eingeleitet durch das totalitäre Medium Fernsehen, setzt sich fort mit dem Internet, das die Beteiligung des Einzelnen verlangt und ermöglicht, und die Zukunft hält weitere Revolutionen bereit. Kulturelle und ökonomische Initiativen jeder Art sind denkbar, neue Kontakte und neue Arbeitsplätze werden entstehen, auch im Dorf.
Thomas Jung hat auf dem PC
bereits die Kamera fürs Bildtelephon stehen, der virtuelle Dorfspaziergang ist technisch
machbar, samt Rundblick und Straßenlärm, und eines Tages könnte rund um den Globus der
Mandolinenverein Alsweiler mit Vivaldi zu hören und zu sehen sein. Auch Heimatforschern
tut sich eine neue Bühne auf. Der Apotheker plant Interviews mit alten Menschen über ihr
Leben im ablaufenden Jahrhundert, und mit dem neuen CD-Brenner, den er jüngst gekauft
hat, will er einmal die ganze Alsweiler Cyber-Sammlung auf Scheibe bannen und der
Apotheken- Kundschaft zu Weihnachten verehren das Heimatbuch des dritten
Jahrtausends rollt an.
Nicht zuletzt könnte die dörfliche Demokratie profitieren. Alsweiler hat ein Debattenforum bekommen, in dem man seine Meinung zu kommunalen Fragen sagen kann, etwa zum neuen Verkehrskreisel. Das Echo ist vorerst sehr gering, und eine regelrechte Quasselecke, von Eingeweihten Chat-Forum genannt, ist gar nicht erst vorgesehen. "Dafür sollen die Leute weiter in die Kneipe gehen", sagt der Apotheker, "live leben ist besser als Internet-Chat." KLAUS BRILL